Fragen und Antworten
Fragen zum zukünftigen Energiesystem
Das Volk hat am 18. Juni 2023 das Klima- und Innovationsgesetz (BFE, 2023) angenommen. Es verpflichtet die Schweiz dazu, bis 2050 netto keine Treibhausgase mehr auszustossen, um der weltweiten Gefahr durch den Klimawandel zu begegnen. Für den Energiesektor bedeutet das, komplett auf fossile Treib- und Brennstoffe (d.h. Benzin und Diesel, Heizöl, Erdgas) zu verzichten. Weil viele Ansätze zum Ersatz fossiler Energieträger auf Elektrifizierung setzen, muss sich der Stromsektor auf einen höheren Verbrauch einstellen und gleichzeitig CO2-frei bleiben.
Derzeit bezieht die Schweiz den Grossteil ihrer Energie aus dem Ausland, vor allem in Form von Erdöl, Erdgas, Mineralölprodukten und Kernbrennstoffen. Fossile und Kernbrennstoffe machen rund drei Viertel des gesamten Bruttoenergieverbrauchs der Schweiz aus. Einheimische Quellen, vor allem die Wasserkraft, decken das restliche Viertel ab (BFE, 2023). Mineralölprodukte werden vor allem im Verkehr und zum Heizen eingesetzt, Erdgas ebenfalls für Heizzwecke und die Industrie, und Kernbrennstoffe für die Stromerzeugung.
Etwa die Hälfte des Schweizer Strombedarfs wird durch Wasserkraftwerke gedeckt, ca. 36 % durch die Schweizer Kernkraftwerke, ca. 6 % durch Photovoltaik, und der Rest grösstenteils durch andere erneuerbare Energien und Kehrichtverbrennung. Die Schweiz exportiert normalerweise Strom im Sommer und importiert ihn in den Wintermonaten. Über das gesamte Jahr gesehen erzeugt die Schweiz ungefähr so viel Strom, wie sie verbraucht.
Verschiedene Alternativen sind denkbar. Sie haben aber zwei Gemeinsamkeiten: 1) die heutigen Importe fossiler Treib- und Brennstoffe werden schrittweise auf null – oder auf ein sehr niedriges Niveau – reduziert und müssen ersetzt werden und 2) das Energiesystem muss einen höheren Stromverbrauch bedienen, bei insgesamt tieferem Energieverbrauch.
Ja. Im Energiebereich gibt es viele CO2-freie Alternativen. Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 netto keine Treibhausgase (THG) mehr auszustossen. Das bedeutet, dass geringe Mengen an THG emittiert werden können, sofern die entsprechende Menge THG an anderer Stelle kompensiert wird (z.B. indem CO2 aus der Luft gefiltert wird). Dieser Ausgleich ist jedoch Wirtschaftsbereichen vorbehalten, für die Emissionsminderungen äusserst schwierig oder sogar unmöglich sind (z.B. manche Bereiche der Landwirtschaft). Der Energiesektor gehört nicht zu diesen Bereichen. Vielmehr kann der Energiesektor mit negativen Emissionen zur Kompensation beitragen.
Es gibt Industrien und Technologien, bei denen die Senkung der Treibhausgasemissionen besonders schwierig ist. Hier könnten zukünftig synthetische Treib- und Brennstoffe und Wasserstoff eingesetzt werden. Diese Brennstoffe können auch als Energiespeicher dienen, im Verbund mit so genannten Power-to-X-Anwendungen, in denen sie mit erneuerbarem Strom erzeugt werden. Ob und wenn ja, wie wichtig diese Optionen sein werden und ob wir solche Brennstoffe überwiegend importieren oder auch in der Schweiz produzieren werden, ist aktuell jedoch noch nicht gut prognostizierbar.
Insgesamt gesehen, nein. Die Elektrifizierung des Energiesystems wird zwar zu einem höheren Stromverbrauch führen, aber insgesamt zu einem deutlich tieferen Energieverbrauch. Elektrische Systeme, Antriebe und Wärmepumpen sind in der Regel effizienter als die Verbrennung fossiler Treib- und Brennstoffe. Zudem wird sich auch weiterhin die allgemeine Energieeffizienz verbessern und so weitere Energieeinsparungen ermöglichen.
Modellgestützte Szenarien zeigen, dass Wasserkraft und Photovoltaik die tragenden Säulen der Schweizer Stromerzeugung sein werden. Für die bestehenden Wasserkraftwerke sind Erweiterungen bereits geplant, und in den kommenden Jahrzehnten werden Unternehmen und Haushalte in zusätzliche Photovoltaikanlagen investieren. Diese beiden Säulen werden durch andere Quellen wie Wind und Biomasse ergänzt.
Der Stromhandel hilft dabei, die Differenz auszugleichen, die zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten zwischen dem vor Ort erzeugten und verbrauchten Strom besteht. Diese Funktion des Stromhandels wird umso wertvoller, je mehr Erzeugung aus wetterabhängigen erneuerbaren Quellen dazu kommt. Der Stromhandel bleibt also wichtig, auch bis 2050 und darüber hinaus, denn er bringt Vorteile auf wirtschaftlicher Ebene und für die Versorgungssicherheit.
Eine einigermassen exakte Schätzung der zukünftigen Kosten unseres Energiesystems ist aktuell nicht möglich, denn zu viele Entwicklungen, die die Kosten betreffen, sind unsicher (z.B. Fortschritte bei den Kosten für erneuerbare Energien und Batterien, die Zukunft der Elektromobilität und die Importpreise für synthetische Treib- und Brennstoffe). Sicher ist, dass erhebliche Investitionen nötig sind, vor allem in die Stromerzeugung, dem Stromnetz und den Ersatz fossiler industrieller Prozesse. Erhebliche Investitionen wären aber auch notwendig, wenn wir das heutige, in die Jahre gekommene System beibehalten wollten.
Weniger fossile Treib- und Brennstoffe zu verfeuern, bringt so genannte Sekundärnutzen mit sich. Zu ihnen gehören z.B. eine bessere Gesundheit durch geringere Luftverschmutzung und der Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels. Zwar gibt es keine Energietechnologie ohne externe Kosten, aber sie sind bei Strom aus erneuerbaren Quellen deutlich geringer. Ausserdem vermeiden wir Importe fossiler Energieträger, die sich durchschnittlich auf 7 Milliarden Franken pro Jahr belaufen (2018-2022).
Fragen zur Versorgungssicherheit
In einem Energiesystem, das vor allem auf Erneuerbare setzt, wird die Versorgung anders gesichert als im heutigen konventionellen System. Heute hängt die Versorgungssicherheit von der internationalen Verfügbarkeit und den Weltmarktpreisen fossiler Treib- und Brennstoffe ab. Wenn die Erneuerbaren übernehmen, braucht es für eine sichere Versorgung ein flexibles System, das auf die Auswirkungen von Wetteränderungen reagieren kann. Diese Flexibilität könnte z.B. erreicht werden durch Pumpspeicherkraftwerke, Batterien, Flexibilität beim Verbrauch oder Stromerzeugung mit Biomasse oder synthetischen Brennstoffen. Versorgungssicherheit wird in Zukunft also mehr zu einer technischen Herausforderung und dafür weniger zu einer geopolitischen.
Importe und Exporte sind in Strommärkten wichtig und ganz normal. Waren werden importiert, wenn es billiger ist, als sie vor Ort zu produzieren. Länder haben zu unterschiedlichen Zeiten Preisvorteile, z.B. wenn in Norddeutschland gerade günstige Bedingungen für die Windkraft herrschen oder im Sommer in Südeuropa viel Solarstrom erzeugt wird.
Nein. In einem Verbundsystem folgen die Stromflüsse physikalischen Gesetzen. Ein Teil der Stromflüsse wird durch Handel ausgelöst, ein anderer Teil ergibt sich automatisch aus den jeweiligen lokalen Erzeugungs- und Verbrauchsmustern. Selbst wenn die Schweiz den internationalen Handel ganz einstellen würde, was sehr teuer wäre, wird aufgrund der physikalischen Eigenschaften des Stromnetzes immer noch Strom über unsere Grenzen hinweg fliessen.
Nein. Schweizer Versorger erzielen wichtige Einnahmen, indem sie dem europäischen Markt Flexibilität aus Wasserkraftwerken verkaufen. Diese Anlagen liefern kurzfristig Strom in Stunden, in denen die Preise besonders hoch sind, z.B. weil das Angebot in Europa knapp und teuer ist. So profitieren sowohl die Schweiz als auch das europäische System von den Vorteilen unserer Wasserkraft.
Die Art der Abhängigkeiten ändert sich. Die Elektrifizierung des Schweizer Energiesystems wird die Abhängigkeit von fossilen Treib- und Brennstoffimporten schrittweise reduzieren. Gleichzeitig werden Stromhandel und europäische Marktintegration wichtiger. Ob wir weiterhin Treib- und Brennstoffe (z.B. synthetische Brennstoffe und Wasserstoff) importieren und welche Wirtschaftsbereiche diese nutzen würden, ist noch nicht ganz klar. Ausserdem brauchen wir auch weiterhin andere ausländische Rohstoffe, z.B. kritische Mineralien.
Im Sommer werden wir weiterhin Stromüberschüsse haben (Wasserkraft und Photovoltaik haben beide ihre Produktionsspitzen im Sommer) und im Winter einen hohen Strombedarf, weil mit Strom zusätzliche Wärme erzeugt werden wird. Stromexporte und -importe bleiben für die Schweizer Stromversorgung wichtig, weil sie die inländischen Erzeugungs- und Flexibilitätsoptionen ergänzen.
Die meisten Szenarien gehen davon aus, dass die Schweizer Versorger in den Wintermonaten weiterhin mehr Strom importieren als exportieren werden, unabhängig davon, wie die Stromhandelsbilanz über das komplette Jahr aussehen mag. In Zeiten hoher Nachfrage in der Schweiz werden wir durch die vielen flexiblen Schweizer Wasserkraftwerke genügend eigenen Strom haben. Demgegenüber können wir zu niedrigen Preisen importieren, wenn in Europa die Nachfrage gering oder das Angebot hoch ist. Dafür ist entscheidend, dass Importe generell während des gesamten Winters möglich sind. Vergleichsweise unbedeutend ist, ob Importe zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt verfügbar sind.
Im Winter hilft jede kWh, die zusätzlich in der Schweiz erzeugt oder beim Verbrauch eingespart wird. Sie schont Wasserkraftreserven, die genutzt werden können, um Erzeugung auf Stunden mit hohem Verbrauch zu verlagern, wenn Importe aus Europa schwerer verfügbar sind. Es kommt nicht darauf an, ob die zusätzliche Erzeugung aus Photovoltaik, aus erneuerbaren Quellen, die besser für den Winter geeignet sind (z.B. Wind), oder aus anderen Quellen stammt. Um den Verbrauch zu senken, kann die Energieeffizienz verbessert oder unnötiger Energieverbrauch (z.B. Beheizung ungenutzter Räume) vermieden werden.
Auch Europa wird auf erneuerbare Energien setzen und bei der Erzeugung stärker als heute vom Wetter abhängig sein. Viele Szenarien rechnen für Europa mit einer herausragenden Bedeutung von Wind und Photovoltaik und einem hohen Anteil an Windenergie vor allem in den Wintermonaten. Die Grösse Europas ermöglicht zudem den Ausgleich von Produktionsdefiziten sogar innerhalb derselben erneuerbaren Quellen (d.h. die Wolkenbildung und Windverhältnisse sind in Europa nicht einheitlich). Das erhöht die Chancen auf lokale europäische Stromüberschüsse, was wiederum Importe für die Schweiz erleichtert.
Der Handel der Schweiz mit ihren Nachbarn bringt für alle Seiten Vorteile und verbessert die Stabilität sowohl unseres als auch des europäischen Systems. Folglich wird Handel wahrscheinlich auch ohne bilaterales Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU jederzeit möglich bleiben. Gleichwohl treibt die EU Marktintegration und Energiewende voran und die Schweiz wird sich auf diese Veränderungen einstellen müssen.
Fragen zu den Auswirkungen für Endkunden
Wegen der Unsicherheit über die zukünftigen Kosten des Energiesystems lässt sich auch über die Kosten, die jeder Einzelne künftig zu tragen hat, wenig Gesichertes sagen. Die Elektrifizierung der Bereiche Wärme und Verkehr könnte den Stromanteil an den Haushaltsausgaben erhöhen. Gleichzeitig müssen die Ausgaben für fossile Treib- und Brennstoffe auf null zurückgehen. Ob mit dieser Verschiebung die Energiekosten höher oder tiefer werden, kann nicht zuverlässig vorhergesagt werden.
Die Erzeugung von erneuerbarem Strom ist meist wetterabhängig und schwankend. In einem Stromsystem, das auf Erneuerbare setzt, wird deshalb zeitliche Flexibilität beim Verbrauch immer wertvoller. Versorger nutzen in der Regel die Stromtarife, um Anreize für Verbraucher*innen zu schaffen und von der Flexibilität der Kund*innen zu profitieren. Es wird also sehr wahrscheinlich neue Stromtarifmodelle geben. Ebenfalls wahrscheinlich ist aber auch, dass private Haushalte sich gegen nachfrageseitige Flexibilitätsmassnahmen entscheiden können, indem sie einen Tarif wählen, der dem heutigen Durchschnitts- oder Tag-/Nachttarif entspricht.
Nur zum Teil. Die aktuellen Debatten drehen sich vor allem um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Dabei ist die Wahl einer bestimmten Ausbaustrategie nur einer von vielen Aspekten, die sich auf die Kostenentwicklung auswirken – und nicht unbedingt der entscheidende. Die Entscheidung zugunsten erneuerbarer Energien hat viel mit dem Ausstieg aus den fossilen Treib- und Brennstoffen zu tun, der im Kampf gegen den Klimawandel in jedem Fall notwendig ist. Zudem wird der Stromverbrauch unabhängig von der konkreten Ausbaustrategie steigen.
Es sind einerseits die Versorger, die in Stromerzeugung, Netzausbau und Systemstabilität investieren. Die Stromkunden zahlen für diese Investitionskosten im Laufe der Jahre über ihren Verbrauch. Stromtarife finanzieren also letztlich unter anderem diese Investitionskosten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird aber anderseits auch durch unzählige kleine Investitionen z.B. in Dachphotovoltaikanlagen geschehen. Bei diesen Investitionen spielen die eingesparten Stromkosten die entscheidende Rolle.
Im Allgemeinen dürften Haus- und Wohnungseigentümer gegenüber Mietern im Vorteil sein, weil sie einfacher zu Prosumern werden können. Das bedeutet, dass sie nicht nur Strom beziehen, sondern zusätzlich erneuerbaren Strom selbst erzeugen. In diesem Zusammenhang können sie von verschiedenen Anreizen profitieren, z.B. von Investitionsförderungen oder bei flexiblen Stromtarifen. Mieter bleiben auch weiterhin stark von den Investitionsentscheidungen ihrer Vermieter abhängig. Zu einer durchdachten Energiewende gehören deshalb auch geeignete Vorschriften für Mietshäuser, Tarifmodelle und Anreize für Vermieter.
Heute ist die Förderung erneuerbarer Energien auf Bund, Kantone und Gemeinden aufgeteilt, wobei auch einige private Organisationen Subventionen anbieten. Diese miteinander verflochtenen Zuständigkeiten werden wahrscheinlich bestehen bleiben, so dass über die verschiedenen Vorschriften und Massnahmen auch weiterhin auf unterschiedlichen Ebenen entschieden werden wird.
In einer von Netto-Null geprägten Energiezukunft werden die privaten Haushalte einen grossen Teil ihrer Energie als Strom beziehen. Für viele von uns bedeutet das, dass wir kein Benzin oder Diesel mehr tanken oder Heizöl für den kommenden Winter bestellen werden. Stattdessen wird die Energie grösstenteils über Netze bereitgestellt (Strom, Fernwärme) und über einen Tarif bezahlt werden.
Die Verbraucher*innen werden voraussichtlich erheblich zur Flexibilität des Stromsystems beitragen. Dadurch sollen unsere Energieverbrauchsgewohnheiten aber möglichst nicht gestört werden. Viele der vorgesehenen nachfrageseitigen Massnahmen sind so genannte «smarte» Lösungen. Dabei handelt es sich um Verfahren der automatischen Steuerung zur Optimierung der verschiedenen flexiblen Stromverbraucher (z.B. Batterie, Wärmepumpe, Klimaanlage, Kühlschrank). Die Verbraucher*innen werden sich an solchen nachfrageseitigen Massnahmen vor allem dann beteiligen, wenn es Anreize dafür gibt, sie also dadurch Stromkosten sparen. Private Haushalte werden sich aber wahrscheinlich auch gegen solche nachfrageseitigen Massnahmen entscheiden können.